Tag 5
Draussen war es kühl geworden. Trotzdem sassen die meisten Gäste
immer noch im Garten. Die einen tanzten, die anderen wärmten sich unter den Wärmelampen.
Inzwischen hatten sich Tischgruppen gebildet. Ich hatte genug getanzt und
kannte auch niemanden so gut, um mich einfach zu jemanden hinzusetzen.
Alejandro wollte ich nicht stören, da er beschäftigt war einer alten Flamme aus
seiner Jugend den Hof zu machen. So ging ich in die Küche.
Die Küche war ein Ort an dem sich die Familie traf zu der ich
mich hingezogen fühlte. Ich setze mich an den grossen Tisch. Bald sprach mich
jemand an und schon fühlte ich mich nicht mehr so alleine. Mein
Gesprächspartner wollte wissen wie lange ich noch bleibe. Ich erzählte ihm,
dass ich bereits am Dienstag zurückfliege, obwohl ich noch 10 Tage bleiben
wollte.
«Wie fliegst du dann zurück? Europa ist komplett zu!», sagte
er.
«Ich weiss», antwortete ich. «Deshalb habe ich meinen Flug
umgebucht. Ich fliege nach London und von dort aus nach Zürich.»
«Ich habe gerade gehört, dass Trump nun auch England und Irland
zum Sperrgebiet erklärt hat.»
In diesem Augenblick kriegte ich es zum ersten Mal mit der
Angst zu tun. Alles was ich bisher verdrängt hatte, stand so offensichtlich vor
mir, dass ich nicht mehr wegschauen konnte. Ich schaute schnell auf meinem
Handy. Ja, das stimmte. Auch London war zu. Ab Montag. Jetzt hatten wir
Samstag. Mein bestehendes Ticket war für Dienstag. Ich musste schnell handeln.
Leider war ich 3 Autostunden von Los Angeles entfernt und konnte erst morgen
wieder zurückfahren. Der Versuch meinen Flug von Dienstag auf Sonntag
umzubuchen scheiterte. Online ging es nicht. Mein Englisch reichte nicht für
eine telefonische Umbuchung. Ich machte mich auf die suchte nach Alejandro. Er war
immer noch mit der gleichen Frau zusammen. Vermutlich bahnte sich da was an. Aber ich
konnte keine Rücksicht auf sie nehmen. Ich bekam es langsam mit der Panik zu
tun. Alejandro und ich suchten ein ruhiges Plätzchen im Haus. Ich erklärte ihm
die Situation. Er rief für mich die Umbuchungsstelle an. Wir kamen in die Warteschlaufe
– Wartezeit 2 Stunden.
«Buch du doch einen neuen Flug, solange du noch einen kriegst»,
sagte er. «Den bestehenden kannst später stornieren.»
Das war ein guter Rat. Ich bekam ein Ticket nach London für
den nächsten Tag um 18.30 Uhr. Von London aus gab es immer noch Flüge nach
Zürich. Zum doppelten Preis, natürlich. Doch das war mir egal. So wie ich mit
allen Mitteln durchgekämpft hatte nach LA zu kommen, setzte ich jetzt alles in
Bewegung um wieder nach Hause zu kommen. Auch wenn ich kein Flug nach Zürich
bekommen hätte, wäre ich trotzdem nach London geflogen. Wenn man über den Ozean
ist, ist man schon fast zu Hause. Schlimmstenfalls könnte mich mein Mann mit
dem Auto holen.
«Doch wie komme ich jetzt nach LA?», fragte ich Alejandro.
«Ich fahre dich», sagte er mit einer absoluten Selbstverständlichkeit.
«Das kann ich nicht annehmen. Das ist deine Geburtstagsparty»,
antwortete ich. «Du kannst da nicht weg. Es ist erst 22 Uhr.»
«Doch, das kann ich.»
Mir war das überhaupt nicht recht, aber ich sah keine andere
Möglichkeit und nahm sein Angebot an. Wir verabschiedeten uns schnell von der Familie
und ich packte meine Sachen. Um halb elf fuhren wir bereits im Auto Richtung
Los Angeles. Ohne Rushhour dauerte die
Fahrt nur anderthalb Stunden.
Wir verabschiedeten uns mit einer flüchtigen Umarmung. Corona
hatte mich wieder völlig im Griff. Ich fühlte mich schlecht, weil er wegen mir seine
Geburtstags-Party verlassen musste. Ausser einem grossen Dankeschön, und einem «Es
tut mir leid» kam mir nichts gescheiter in den Sinn zu sagen. Er fuhr nochmals nach Perris, um seinen
Schwestern am nächsten Tag beim Aufräumen helfen zu können. Doch er wollte
nochmals zurückkommen, um mich zum Flughafen zu fahren. Ich lehnte das Angebot ab.
Ich wollte das Taxi nehmen.
Schnell packte ich meine Sachen, obwohl ich noch bis am
Nachmittag im Hotel bleiben konnte, wollte ich parat sein. Falls etwas dazwischen
käme und ich früher gehen müsste. Mein Handy lief heiss. Alle Verwandte und
Bekannte wollten wissen wie es mir geht und ob ich irgendwo feststecke. Das machte
mich ganz nervös. Die Angst wuchs. Werde ich es bis nach Hause schaffen? Oder
lande ich in eine Quarantäne irgendwo unterwegs? Der einzige Trost war das
Angebot von Alejandro, das er mir auf dem Weg nach LA gemacht hatte.
«Falls alle Stricke reissen, fahre ich dich mit dem Auto nach
Mexico», sagte er. «Dort hat es bis jetzt einen einzigen Corona Fall gehabt. Von
dort aus kann man noch überall fliegen.»
Danke Alejandro für dieses grosszügige Angebot! Das hat mir
sehr geholfen. Einen Plan B zu haben ist immer sehr beruhigend. Ich hoffe, ich werde mich irgendwann bei dir
revanchieren können, lieber Freund.
Fortsetzung folgt…
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